Hamburger Abendblatt 17. Dez. 1978

"Wir Bürger von Kalkar haben keine Angst!"

Von Einar Koch
Kalkar, 16. Dezember
Ein
Dorf macht Geschichte. Kaum ein Tag vergeht, an dem sein Name nicht irgendwo in die Schlagzeilen gerät: Kalkar, in der niederrheinischen Ebe­ne zwischen Kleve und Xanten gelegen, 2500 Einwohner klein — die Mehrzahl katholisch, viel von ihnen Bauern. Auf den Rheinwiesen im Ortsteil Hönnepel, zwischen Stromkilometer 842,1 und 842,5, baut „im Auftrag der Bundesregierung" das Land Nordrhein-Westfa­len mit technischer Hilfe Hol­lands    und    Belgiens    den schnellen Brutreaktor SNR 300, kurz „Schneller Brüter" genannt. Ein neue Reaktortyp, der außer Strom auch seinen eigenen Brennstoff produzie­ren soll.

Die Grube ist ausgehoben, das Betongerüst steht, sogar der Rasen ist gesät. Die mil­liardenschwere Frage, über die erst die Landespolitiker, dann das Bundesverfassungsgericht und zuletzt der Bundestag brüteten: Soll dort im idylli­schen Grünen zwischen Kuh­weiden und Bauernhöfen ein erster Schritt in eine mög­licherweise   zukunftsträchtige Technologie erfolgen oder aber die teuerste Bauruine der Bundesrepublik entstehen?
Bundestag hat beschlossen

Seit dieser Woche weiß man:
in
Kalkar wird erst einmal weitergebaut. Der Bundestag hat es so beschlossen. Rund 8000 Arbeitsplätze beim Bau und in der Zulieferindustrie bleiben erhalten. Vergessen ist erstmal der Wirbel um an­gedrohte Ministerrücktritte und mysteriöse Aktenfunde technischen Zeichnungen des Brutreaktors.

CDU-Bürgermeister   Theo  Kuypers (Foto) läßt das ohnehin alles kalt. „Der Schnelle Brü­ter ist bei uns im Ort kein Thema", sagt er. Die Bürger sehen der Fertigstellung und der möglichen Inbetriebnahme des Reaktors gelassen entge­gen. Kuypers: „Wenn es dann heißt: alles in Ordnung, alle nur denkbaren Gefahren sind ausgeschlossen — dann verlas­sen wir uns darauf. Wir ha­ben keine Angst."

Jüngst lud die örtliche CDU zu einer Aufklärungsveran­staltung. Nur fünf Kalkarer Bürger erschienen. Die meisten Teilnehmer kamen von außer­halb. Von Beunruhigung oder gar Panik im Ort nicht die ge­ringste Spur — wenn man Bür­germeister Kuypers hört.

Im Gegenteil: Kalkar ist schon fast zu einer touristi­schen Attraktion am Nieder­rhein geworden. Fast täglich kommen Busse mit neugieri­gen Besuchern zur Baustelle. „Davon profitiert natürlich auch unsere Gastronomie", freut sich Kuypers.

Eine Sorge hat der Bürger­meister aber doch Durch den Ortsteil Höennepel windet sich eine kleine kurvenreiche Straße. Wenn jetzt die Bau­fahrzeuge wieder rollen, wird es eng und laut im Dorf.

 

 

Anmerkung:  Das Layout wurde zur besseren Übersicht und Lesbarkeit nachträglich geändert mit Zwischenüberschriften!

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