Rheinische Post 27. Juli 1981

Polizei-Hundertschaft räumte Rheinbrücke Rees von Demonstranten - Zwölf Verletzte behandelt

Dramatisches Ende eines Festivals

 Kalkar - „Ihr Schweine, ihr verfluchten Schweine!" Tränen ohnmächtiger Wut lau­fen der jungen Kernkraftgegnerin, die auf der Rheinstraße steht und über sich eine Phalanx gelassen von der Rheinbrücken­auffahrt nach unten schauender Bereit­schaftspolizisten sieht, die Wangen hinunter. „Geschieht denen ganz recht, sollen lieber arbeiten" kommentiert eine Mittfünf­zigerin im Mittelklassewagen einige Schrit­te weiter das Geschehen, das sich wenige Minuten zuvor „live" vor ihrem Autofenster abgespielt hat, während eine ungefähr gleichaltrige andere unfreiwillige Zeugin des Geschehens Mitleid mit den Kernkraftwerksgegnem hat und meint, so hart habe man nun gerade nicht einzugreifen brau­chen.

Kaum eine Minute hatte der Spuk auf der Rheinbrücke Rees-Kalkar, die von Teilnehmern des „Stop-Kalkar-Festes" aus Protest gegen die Festnahme zweier (inzwischen wieder freigelassener) Kernkraftwerkgegner bei der polizeilichen Räumung eines „Anti-Atom-Dorfes" in Hönnepel „besetzt" worden war, gedauert. Da hatte sich das Gros der rund dreihundert Demonstranten mit Beulen und Wunden am Kopf und Glie­dern im Gebüsch zu beiden Seiten der Brückenauffahrt Niedermörmter wiederge­funden. Genau an der Stelle der Fahrbahn, auf der in blutroter Schrift die Parole „Laßt die Leute frei" aufgesprüht war, lag ein verletzter Demonstrant, dem das Blut aus der Nase lief und der von einem Sanitäter der Bereitschaftspolizei betreut wurde. Un­ter den Objektiven der Kameras des WDR nahmen zwei Beamte eine Demonstrantin in den „Schwitzkasten", drehten die Hände auf den Rücken und drückten sie auf den Kühler eines Marthawagens, bis der besonnene Einsatzleiter Stop gebot.

„Gehen Sie bitte von der Fahrbahn, der Fahrzeugverkehr fließt jetzt wieder", hieß es wenige Minuten später zu den Zeugen des Blitzeinsatzes, unter ihnen auch viele Anti-Kalkar-Festteilnehmer, die sich in un­mittelbarer Nähe aufgehalten hatten. Aber die Polizei war ausschließlich gegen die Demonstranten vorgegangen, die Arm in Arm auf der Mitte der Fahrbahn gestanden und offensichtlich nicht damit gerechnet hatten, daß die Beamten, es war ein sieben­köpfiger Sondertrupp eines Spezial-Einsatz-Kommandos, der diese „Taktik" ge­wählt hatte, auch von hinten ihre Front auf­rollen könnten. ........

Empörung über die Härte des Einsatzes

Daß die Härte dieses Einsatzes vielfach Empörung ausgelöst hatte, wußten Ober­kreisdirektor Dr. Schneider und Polizeioberrat Zacharias schon vor Beginn einer Pressekonferenz, in der viele bohrende Fra­gen gestellt wurden, so zum Beispiel nach dem Grund dafür, daß man die Demon­stranten zur Seite geschlagen und nicht weggetragen habe. Die Antwort: In erster Linie habe man der taktischen Reserve der Polizeikräfte, die unterwegs gewesen sei, in Richtung Hönnepel schnell freie Fahrt ver­schaffen müssen.

Der OKD stellte fest, er bedauere diese Härte außerordentlich und kündigte an, der Führer des Einsatzkommandos werde einen schriftlichen Bericht abgeben müssen. Der plötzliche Einsatz des Spezialtrupps, von dem anscheinend die vor den Demonstran­ten stehenden Bereitschaftspolizeibeamten überrascht waren, könne möglicherweise auf einem Kommunikationsirrtum beruhen, konzedierte der Oberkreisdirektor.........

Der dramatische Zusammenprall auf der Rheinbrücke ereignete sich kurz nach ei­nem Zeitpunkt, zu dem niemand mehr an einen solchen Konflikt gedacht hatte, ob­wohl die Stimmung nach einer dritten Ab­bruchaktion im verbotenen, aber dennoch in Ansätzen immer neu gebauten „Anti-Atomdorf" am Sonntagmorgen sehr ge­spannt war. Samstagnachmittag dagegen hatte die Szenerie ausgesprochen friedlich gewirkt. Viele Eltern waren mit kleinen Babys gekommen, junge Hunde tollten zwi­schen den Strohballen, und eine Festteil­nehmerin hatte sich sogar einen jungen Igel als Haustier besorgt.

Daß es dennoch nicht nur friedliche Fest-Teilnehmer waren, die sich in Hönnepel versammelt hatten, wenn sie auch bei wei­tem in der Überzahl waren, darauf wies Polizeioberrat Zacharias in der Pressekon­ferenz sehr nachdrücklich hin, als er mehre­re Nagelbretter und eiserne Krähenfüße vorzeigte, die Unbekannte in der Nacht auf der Griether Straße verstreut hatten, um die Polizeifahrzeuge zu beschädigen. ........
Meinungsstreit gibt es weiterhin um den Einsatz der chemischen Keule. Ein Demon­strant beteuert, getroffen worden zu sein, die Polizei bestreitet den Einsatz ent­schieden.

Anmerkung:  Das Layout wurde zur besseren Übersicht und Lesbarkeit nachträglich geändert mit Zwischenüberschriften!

Gegen das Vorgehen der Polizei und den Abbruch des Anti-Atom-Dorfes haben die Brütergegner in einem Offenen Brief Protest eingelegt und den Rücktritt der Verantwortlichen gefordert:
Das Layout des mit der Schreibmaschine geschriebenen Briefes wurde teilweise übernommen!

O F F E N E R   B R I E F     Hönnepel, 28.o7.81

An den
Oberkreisdirektor Schneider

419o Kleve 

Die Ereignisse am Wochenende hab en gezeigt , daß Sie und Ihr Polizeichef  Zacharias Ihren Aufgaben nicht gewachsen waren.
Zehn
Jahre praktizierter Widerstand reichten nicht aus,  den B au des   Schnellen B rüters zu :stoppen und Ihr Feindbild über uns, AKW-Gegner abzub auen.  Wir werden immer wieder versuchen. , einen Baustop dieses lebensbedrohenden B rüters  zu erreichen, Mit dem Aufbau eines "Anti — Atom - Dorfes"     wollten wir praktisch beweisen , daß der B rüter   und' allen anderen AKW' s. nicht nur gefährlich , sondern auch überflüssig sind.    Ein. Teil, des "Anti — Atom - Dorfes" sollte aus einer Modellausstallung alternativer 'Energiequellen bestehen , um. dien  Vorteile   alternativer Energie­quellen gegenüber der Kernenergie zu verdeutlichen.    Es wurde: 'beab­sichtigt , konkrete Modelle wie   Sonnenkollektoren ,  Windmühlen ,  Bio - Gasanlage. , Wärmepumpe ., Solarzellen und Modelle von Häusern mit verschiedener' Isolierung aufzubauen und auszustellen.
Es gilt , die  Natur zu verstehen
 und mit ihr zu leben. Der Auf­bau vom Zusammenleben im  "Anti — Atom - Dorfe" sollte für uns eine. .Möglichkeit sein   anders zu  leben ;     einfach , friedlich , ohne Angst vor Kernenergie und. Atomkrieg.

Monatelang wurden unsere. Absichten gegenüber den - in Ihrem Auftrag handelnden - uns laufend kontrollierenden Polizisten klar, gemacht. Bei den zahllosen Polizeikontrolle  konnte nur der Eindruck entstehen, es werden friedliche Aktionen vorbereitet werden .SO ist Ihre Reaktion

-    Sie haben uns verboten , vom Freundschaftshaus aus unsere Ideen und Informationen mitzutei len.

-    Sie beauftragten , uns von der B evölkerung durch massive Polizei-einsätze abzuriegeln, um uns zu isolieren und zu kriminalisieren.

-    Nur wer sich wie ein Krimineller durchsuchen ließ , kam durch die Polizeisperren.

-    Alles was wir brauchten für das Dorf und das Musikfest, wurde- in ihrem Auftrag beschlagnahmt :    Holz zum Häuser bauen waren Waffen,  Getränke waren Waffen,  Zelte zum Wohnen und zum Schutz waren Waffen, selbst Plastikplane zum Regenschutz waren Waffen.

-    Es wurde bei den zahlreichen Polizeieinsätzen   zweimal Hausfrie­densbruch begangen

- Einer aus unsrer Gruppe wurde von der Polizei mit dem Messer
bedroht.
                                                           

Diejenigen, die dennoch Hütten oder Regendächer aufbauten ,wurden
xxx sechsmal    innerhalb von vier Tagen von bewaffneten Polizeiein-
heiten , die in Ihrem Auftrag handelten , angegriffen. Die Polizei
benutzte.    : die chemische. Keu le , scharfe: Hundestaffeln, Schlag-
stöcke mit B lei gefüllt und körperliche Gewalt, 'Kein einziger von
uns hat einen-; Polizisten angegriffen. Nur unserer  konsequenten Gewaltlosigkeit ist es zu verdanken, daß nicht noch mehr ^Menschen
verletzt wurden. 

Es- ist Ihnen gelungen,  das Fest. und -den Aufbau des  Dorfes zu zer-
stören, -aber nicht- unseren Widerstand -gegen
Ihre Zukunftspläne und
die der Atomindustrie-.Wir "machen
auf unserem gepachteten Grund-
stück weiter.   Wir werden das Gelände: landwirtschaftlich nutzen;
Hühner --und 'Ziegenställe etc, -aufb auen , Tiere halten,  Tiere
züchten
und voneinander lernen Land' zu beb auen,       •

WIR FORDERN Sie auf,.uns.das beschlagnahmte. B aumaterial zurück-
zugehen^       
...  .. :. .    ......          .. : . .    ...

... WIR FORDERN Sie auf, die verantwortlichen Schläger zur Rechen-
schaft zu ziehen. 

WIR FORDERN ,. uns zu .erlauben , Windmühlen auf zubauen.
WIR KUNDIGEN AN     .
daß. wir Strafanzeige und Schadensersatzan-
sprüche stellen werden. .  

WIR FORDERN  , DASS SIE UND  POLIZEICHEF ZACHARIAS ALS VERANTWORT-
 ZURÜCKTRETEN
 

                  .gez.   Bürgerinitiativen

                               Pächter des Grundstücks  

                          Anwesende    

 

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