Kalkar am Tag vor der großen Demonstration

Bretterverschlag als Fotomotiv

Von unserem Redaktionsmitglied Alois Puyn        Rheinische Post 24. September 1977

KALKAR. „Wegen Umbau geschlossen" hat Taverne-Wirt Thomas Pfüller auf die Bretter gepinselt, mit denen er die Fenster seines Gasthauses zugenagelt hat. Sein Nachbar Heinz Tomberg hat sein Antiquitä­tengeschäft ebenfalls mit Spanplatten vor den Schaufenstern abgesichert. Und gegen­über ist in Karl Müllers Uhren- und Schlick-Fachgeschäft ebenfalls keine Spur mehr von der blitzenden Auslage zu sehen. Bretter versperren Blick. Dennoch waren ge­rade diese Häuser gestern das begehrteste Objekt der vielen Presse-Fotografen und Ka­meramänner des Fernsehens, die Kalkar ei­nen Tag vor der großen Demonstration der Kernkraftwerksgegner durchstreiften. Denn nicht die idyllischen Fleckchen der kleinen Stadt waren dies Mal gefragt, sondern Moti­ve, die die Sorge und das Unbehagen wider­spiegeln angesichts eines Ereignisses, des­sen Ausgang niemand kennt

Innenminister Hirsch ist fest davon über­zeugt, daß die Demonstranten in der Stadt Kalkar keine Gewalt ausüben werden. Der Marktplatz hat - so haben ihm die Wortfüh­rer gesagt - so etwas wie einen Symbolwert, sozusagen als Kontrastprogramm zu dem Be­tonklotz, der draußen vor den Toren der klei­nen Stadt am Rheinufer emporwächst und dem die ganze Abneigung aller Demonstra­tionsteilnehmer, vom Umweltschützer, der die Atomkraft noch nicht voll beherrscht sieht, über den Systemveränderer, der in der grauen Festung auf der grünen Wiese die Zwingburg des verhaßten Kapitals zu erkennen glaubt bis zu den Anarchisten, denen jede Chance der Konfrontation mit dem Staat, den sie ablehnen, recht ist.

Nur langsam verbreitete sich gestern in Kalkar die Nachricht aus Düsseldorf, daß der Leeuwsche Parkplatz als Demonstrationsort, wie er in einer Klage von den Veranstaltern gefordert worden war, vom Verwaltungsge­richt nicht akzeptiert wurde Es gab auch kaum Diskussionen darüber. Geblieben ist in jedem Fall der Marktplatz als einer der zen­tralen Sammelpunkte. Von hier aus sollen die ankommenden Demonstranten, wenn die Fläche zwischen Giebelhäusern und Rathaus gefüllt ist, durch Ordner aus ihren eigenen Reihen (einer pro hundert Menschen) zum Hanselaertor geleitet werden, wo der zweite Sammelpunkt eingerichtet ist. Von dieser „Überlauf-Theorie" erhoffen sich die Ord­nungskräfte einen reibungslosen Fluß der Demonstrationsteilnehmer

Die Demonstranten werden übrigens nicht so geschlossen eintreffen, wie seinerzeit die Niederländer mit ihren Buskolonnen, die in­nerhalb einer halben Stunde den Marktplatz füllten und nach Demonstrationsende in ei­ner ebenso kurzen Zeitspanne wieder abge­reist waren. Diesmal kommen die Demon­strationsteilnehmer aus allen Regionen der Bundesrepublik. Durch die vorgesehene Schließung der Reeser Rheinbrücke werden die Bus- und Wagenkolonnen die Stadt nicht von Osten her, sondern ausschließlich über die B 57 entweder aus Richtung Kleve oder Xanten ansteuern und zum großen Teil am Rand der Fahrbahn parken. Je nach Zahl der Teilnehmer kann der Rückstau bis hinter Kehrum bzw vor Hasselt reichen. Offener als zuvor ist seit vorgestern abend die Zahl der Teilnehmer aus den Niederlanden. Bis ge­stern wußte noch niemand, wie die nieder­ländischen Ordnungsbehörden die Fahndun­gen nach dem Terroristenanschlag in Utrecht mit den Großtransportern zur Kalkar-Demon­stration vereinbaren können